Sonntag, 26. Juli 2020

Märchen 71 Reue ist aussichtslos
Written by Rainer: rainer.lehrer@yahoo.com
Learn languages (via Skype): Rainer: + 36 20 334 79 74 or + 36 20 549 52 97

Reue ist aussichtslos!

Er steht am Rande eines Grabes und befiehlt einer Gruppe von Arbeitern mit Schaufeln einen Sarg auszugraben. Er ist sehr ungeduldig, obwohl er genau weiß, dass die Person dort unter der Erde schon ein paar Tage tot ist. Schöne Erinnerungen mit Reue vermischt gehen durch seinen Kopf.
Neben ihm steht ein leerer, sehr schöner Sarg. Er ist noch unbenutzt. Will er sich neben die tote Person legen?
Langsam wird ein länglicher Kasten aus der Erde gehoben und dann geöffnet. Obwohl die Frau darin schon ein paar Tage tot und ihre Kleidung ziemlich ärmlich ist, lassen sich noch ein paar freundliche Gesichtszüge erkennen. Und Zufriedenheit, oder besser Erlösung, wenn nach einem langen Leiden alle Schmerzen plötzlich enden.
Er wollte sie noch einmal sehen, und wäre sie jetzt so schön und lebensfroh gewesen, wie damals, dann wäre er wahrscheinlich neben dem Sarg zusammengebrochen. Aber sie war es nicht. Lange hatte sie gelitten und nur er meinte, hinter dem verzogenen Gesicht, ihre schönen Züge zu erkennen.
Er ließ ihr eine neue Jacke und Rock anlegen, noch einmal ihre Haare kämmen und Puder und Make-up auftragen. Obwohl es nicht viel half, war er doch ein wenig beruhigter.
Jahrelang hatte er sie nicht gesehen, hatte sie sogar gehasst, weil er die Wahrheit nicht einmal geahnt hatte.
Ein Mann und eine Frau sitzen auf einer Terrasse und frühstücken. Das Haus ist nicht sehr groß und der Garten nicht mit vielen Statuen geschmückt, wie es dem edlen Aussehen der beiden Verliebten würdig gewesen wäre. Aber sie sind glücklich, es ist Frühling und sie genießen die kraftgebende Sonne, die frische Milch und das gerade gebackene, weiche Brot mit seiner knusprigen Rinde nach einer bewegungsvollen Nacht. Er, der Sohn eines englischen Edelmannes und sie, eine Frau, die gezwungen ist, von ihrer Schönheit zu leben.
Am Nachmittag ging er in die Stadt, um etwas zu erledigen. Sein Vater war über diese Beziehung nicht gerade glücklich gewesen und hatte ihn mehrmals gebeten, vernünftig zu werden.
Jetzt war sie allein im Haus. Sie organisierte den Haushalt, wie eine Frau, die ihrem geliebten Mann ein zu Hause schafft.
Und da ging die Tür auf. Ein älterer Mann stand da, energisch war sein auftreten. Er sagte nichts, sondern setzte sich wortlos an den Tisch. Obwohl er sich nicht vorgestellt hatte, wusste sie genau, wer er war. Sie sah ihn an und nur ihre Lippen flüsterten ihm lautlos zu: „Ich liebe ihren Sohn!“ Lange schaute er ihr in die Augen, „eine wunderbare Frau für eine glückliche Ehe, aber für eine Karriere ganz ungeeignet.“ Zu seiner eigenen Jugendzeit hätte er fast den gleichen Fehler begangen, wie sein Sohn jetzt. Dann war sein Vater gekommen, hatte eingegriffen. Aber war er glücklich? Was ist Glück??? Glück vergeht, aber die Karriere bleibt. Und so saß er heute, wie vor 40 Jahren sein Vater, vor dieser wunderbaren Frau. Er hätte weinen können, wenn er es mit der Zeit nicht verlernt hätte. Und ihre Augen sagten nur: „Ich liebe Ihren Sohn!“ Er musste nicht viel sagen. „Wenn Sie ihn wirklich lieben, dann verlassen Sie ihn!“ Endlich stand er auf und ging, weil er wusste, dass sie ihr Glück für seinen Sohn opfern würde.
Später wurde sie sehr krank und schrieb ihm einen Brief, mit der Bitte seinen Sohn noch einmal sehen zu dürfen. Lange hatte er gezögert, bevor er seinen eigenen Fehler eingestand und seinen Sohn, nun 20 Jahre älter, unterrichtete.
(nach Alexandre Dumas, fils: La Dame aux camélias / Verdi: Traviata)


Else
Else
Else
Else
Else



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen