Märchen 71 Reue ist aussichtslos
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Reue ist aussichtslos!
Er steht am Rande eines Grabes und befiehlt einer
Gruppe von Arbeitern mit Schaufeln einen Sarg auszugraben. Er ist sehr
ungeduldig, obwohl er genau weiß, dass die Person dort unter der Erde schon
ein paar Tage tot ist. Schöne Erinnerungen mit Reue vermischt gehen durch
seinen Kopf.
Neben ihm steht ein leerer, sehr schöner Sarg. Er
ist noch unbenutzt. Will er sich neben die tote Person legen?
Langsam wird ein länglicher Kasten aus der Erde
gehoben und dann geöffnet. Obwohl die Frau darin schon ein paar Tage tot und
ihre Kleidung ziemlich ärmlich ist, lassen sich noch ein paar freundliche
Gesichtszüge erkennen. Und Zufriedenheit, oder besser Erlösung, wenn nach
einem langen Leiden alle Schmerzen plötzlich enden.
Er wollte sie noch einmal sehen, und wäre sie
jetzt so schön und lebensfroh gewesen, wie damals, dann wäre er
wahrscheinlich neben dem Sarg zusammengebrochen. Aber sie war es nicht. Lange
hatte sie gelitten und nur er meinte, hinter dem verzogenen Gesicht, ihre
schönen Züge zu erkennen.
Er ließ ihr eine neue Jacke und Rock anlegen,
noch einmal ihre Haare kämmen und Puder und Make-up auftragen. Obwohl es
nicht viel half, war er doch ein wenig beruhigter.
Jahrelang hatte er sie nicht gesehen, hatte sie
sogar gehasst, weil er die Wahrheit nicht einmal geahnt hatte.
Ein Mann und eine Frau sitzen auf einer Terrasse
und frühstücken. Das Haus ist nicht sehr groß und der Garten nicht mit vielen
Statuen geschmückt, wie es dem edlen Aussehen der beiden Verliebten würdig
gewesen wäre. Aber sie sind glücklich, es ist Frühling und sie genießen die
kraftgebende Sonne, die frische Milch und das gerade gebackene, weiche Brot
mit seiner knusprigen Rinde nach einer bewegungsvollen Nacht. Er, der Sohn
eines englischen Edelmannes und sie, eine Frau, die gezwungen ist, von ihrer
Schönheit zu leben.
Am Nachmittag ging er in die Stadt, um etwas zu
erledigen. Sein Vater war über diese Beziehung nicht gerade glücklich gewesen
und hatte ihn mehrmals gebeten, vernünftig zu werden.
Jetzt war sie allein im Haus. Sie organisierte
den Haushalt, wie eine Frau, die ihrem geliebten Mann ein zu Hause schafft.
Und da ging die Tür auf. Ein älterer Mann stand
da, energisch war sein auftreten. Er sagte nichts, sondern setzte sich
wortlos an den Tisch. Obwohl er sich nicht vorgestellt hatte, wusste sie
genau, wer er war. Sie sah ihn an und nur ihre Lippen flüsterten ihm lautlos
zu: „Ich liebe ihren Sohn!“ Lange schaute er ihr in die Augen, „eine
wunderbare Frau für eine glückliche Ehe, aber für eine Karriere ganz
ungeeignet.“ Zu seiner eigenen Jugendzeit hätte er fast den gleichen Fehler
begangen, wie sein Sohn jetzt. Dann war sein Vater gekommen, hatte
eingegriffen. Aber war er glücklich? Was ist Glück??? Glück vergeht, aber die
Karriere bleibt. Und so saß er heute, wie vor 40 Jahren sein Vater, vor
dieser wunderbaren Frau. Er hätte weinen können, wenn er es mit der Zeit
nicht verlernt hätte. Und ihre Augen sagten nur: „Ich liebe Ihren Sohn!“ Er
musste nicht viel sagen. „Wenn Sie ihn wirklich lieben, dann verlassen Sie
ihn!“ Endlich stand er auf und ging, weil er wusste, dass sie ihr Glück für
seinen Sohn opfern würde.
Später wurde sie sehr krank und schrieb ihm einen
Brief, mit der Bitte seinen Sohn noch einmal sehen zu dürfen. Lange hatte er
gezögert, bevor er seinen eigenen Fehler eingestand und seinen Sohn, nun 20
Jahre älter, unterrichtete.
(nach Alexandre Dumas, fils:
La Dame aux camélias / Verdi: Traviata)
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Sonntag, 26. Juli 2020
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