Samstag, 11. Juli 2020

Märchen 62 der tapfere
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Der Tapfere

Stolz läuft der kleine Strohhaardackel neben dem Kinderwagen. Endlich hat er seinen Platz wieder gefunden. Nachdem das Kind geboren war, fühlte er sich nämlich einfach vernachlässigt, hatte sogar ein paar Kilo zugelegt, weil man ihn für sein Geschäftchen nur noch kurz vor die Tür führte.
Früher hatte ihn seine Herrin sehr oft und lange ausgeführt, mit ihm gespielt. Wenn sie sich einsam fühlte oder traurig war, nahm sie ihn wie einen Teddy-Bär mit ins Bett. Dann kam ein junger Mann, eigentlich ganz sympathisch, aber nur auf den ersten Blick. Zuerst hatte auch er mit ihm gespielt, ihm immer einen feinen Brocken mitgebracht. Aber als er dann eingezogen war, änderte sich alles. Die Rolle des Teddy-Bärs übernahm von nun an der Jüngling. Man ging natürlich noch viel spazieren, besonders am Abend, „wie romantisch“, doch spielte mit ihm keiner mehr, und den Platz auf dem Sofa vor dem Fernsehen musste er abgeben.
Am schlimmsten war es dann die letzten Wochen vor und die ersten Wochen nach der Geburt des neuen Familienmitgliedes. Für ihn, den Hund, war dieses nur ein Eindringling, kein Hund beschäftigte sich mit dem Hund. Nur der Großvater der Familie war eine Ausnahme, während die ganze Bagage um die Kinderkrippe versammelt war und unverständliche Laute von sich gab, saß der alte Herr in einer Ecke und streichelte den Hund. Wie bei einem geheimen Bündnis saßen sie nebeneinander, schienen, sich zu verstehen. Aber bei dem Vorschlag, der Großvater solle doch den Hund mitnehmen, weil sie so gut zusammenpassten, blieb ihm kurz das Herz stehen.
Nach drei Monaten Durststrecke ging es wieder hinaus, es war gerade Frühling geworden. Und er, der Hund der Familie, hatte die Aufgabe des Wächters bekommen, die Welt schien wieder in Ordnung. Eine wirkliche Aufgabe für einen ganzen Hund. Im Park trabte der Ausgezeichnete mit erhobenem Haupt neben dem Kinderwagen, als plötzlich ein großer Hund an der Leine um die Heckenecke seine Nase erblicken ließ. Ein kurzes Knurren, gleich darauf riesiges Gebell des Kleinen, der Große ließ sich natürlich nicht zweimal bitten, stürzte auf ihn los, das Herrchen viel beinahe auf die Nase, konnte aber den Großen noch kurz vor dem Zusammenstoß mit dem Kleinen zurückhalten. Was für ein Glück für den Kleinen! Lautes Gebrüll des Mannes, um den seinen zu zügeln, noch schrilleres Geschrei der Frau: „Halten sie doch ihren Hund zurück!“ Dabei war auch das bisher friedlich schlafende Baby aufgewacht und schrie nun aus vollem Hals.
Der ganze Park schaute in die Richtung, aus der der Krawall kam. Alle bewunderten den tapferen, kleinen Hund, dessen Stimme alle übertönte.



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