Sonntag, 23. August 2020

Märchen 85 die faule Jugend
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Die faule Jugend

“Diese Jugend von heute ist einfach verweichlicht. Die wollen nicht mehr richtig arbeiten.“ hörte ich die alten Nachbarinnen durch die Wohnungstür im Treppenhaus des alten, noch aus richtigen Ziegelsteinen gebauten Mietshauses, das ich mit zehn anderen Parteien bewohnte. Ich kümmerte mich nicht sehr darum, da ich mich sowieso nicht unbedingt als Mitglied der Gesellschaft betrachtete, und wie die eine die andere Schicht schalt (schelten / schilt, schalt, h. gescholten), berührte mich nicht im Geringsten. Es war eine Kleinstadt und ich hatte meinen Zwei-Zimmer-Unterschlupf in einem Außenbezirk mit vielen Gartenhäusern. Im Winter musste natürlich der Gehsteig schneefrei gehalten und im Sommer manchmal gefegt werden. Dies geschah durch Arbeitsteilung. Jeder im Haus bekam eine Woche zugeteilt, was einen Rhythmus von zehn Wochen ergab. Hatte man Glück, so war man gerade dann an der Reihe, wenn es eigentlich nichts zu tun gab.
Bei einer dieser Gelegenheiten kam eine ältere, wohlbeleibte Frau gerade vom Einkaufen und als sie mich sah, lobte sie mich, wie fleißig ich doch sei, wartete einen Atemzug und bat mich dann, ihr doch beim Tragen der schweren Taschen zu helfen. Ich bin keine Jesus-Figur, aber wenn man mich höflich bittet, kann ich so etwas meist nicht zurückweisen. Ich half ihr also, die Taschen zu tragen, es waren ja nur ungefähr dreihundert Meter ein bisschen den Berg hinauf. Auf diesem kurzen Weg erzählte sie mir einen Teil ihres Lebens, wie schwer die Kriegs- und Nachkriegszeit gewesen sei, dass ihr Mann sie schon einige Zeit verlassen habe, um in einer glücklicheren Welt, da oben neben Gott, seinen würdigen Platz einzunehmen. Hierzu führte sie mit der Hand die Kreuzbewegung auf ihrer Brust aus. Beim Gartentor angekommen schloss sie es auf und ich trug die Taschen bis zur Haustür. Dabei ging es durch einen ziemlich großen Garten, der ein wenig verwahrlost aussah. Ihr Sohn wohne in der Stadt und helfe ihr überhaupt nicht. „Naja,“ dachte ich bei mir, „ich hätte auch bessere Dinge zu tun.“ Natürlich sagt man so etwas nicht laut, sondern lässt nur seine Gedanken schweifen. Beim Abschied drückte sie mir noch einen Apfel aus ihrem Garten in die Hand und nannte mich ihren Sohn.
Es verging keine Woche, als sie sich vor dem Haus, in dem ich wohnte, mit einer anderen Nachbarin unterhielt. Im Vorbeigehen grüßte ich sie und wollte meinen Weg fortsetzen, um ins Schwimmbad zu gehen. Sie hielt mich auf und bat mich ihr doch am nächsten Tag zu helfen, den kleinen Komposthaufen ein bisschen umzuschichten, da sie in ihrem Alter zu so schwerer Arbeit nicht mehr fähig sei. Ein bisschen die Stirn runzelnd willigte ich ein und begab mich am nächsten Morgen zur besprochenen Zeit zu ihrem Haus. Nach kurzem kam sie mit einem strahlenden Gesicht heraus, führte mich in den anderen Teil des Gartens hinter ihrem Haus. Nun zeigte sich erst richtig der ganze Umfang des Eigentums, das einen ganzen Mann in Vollzeitbeschäftigung benötigt hätte, um dort Ordnung zu schaffen und dann auch weiterhin aufrechtzuerhalten. Sie stand neben mir und erzählte mir Geschichten und ein paar ihrer eigenen Gedanken, vielleicht, um mich zu unterhalten. Zum Beispiel, dass sie nicht verstehe, warum diese jungen Leute Sport treiben, wo doch Gartenarbeit wesentlich gesünder wäre und vor allem auch noch nützlich. Während ich schwitzte, fragte sie mich, ob ich ein Bügeleisen habe. Aber da ich eigentlich nur T-Shirts, Pullover und Jeans trug, wäre ich nie auf den Gedanken gekommen, so etwas zu kaufen. Nach Beendigung der Arbeit gab sie mir ein altes, elektrisches Bügeleisen und wollte mich überreden am nächsten Tag wieder zu kommen, um einige andere Tätigkeiten im Garten zu erledigen. Ich drückte ihr das unnütze Geschenk, oder vielleicht Bezahlung wieder in die Hand und war mit schnellen Schritten aus dem Garten verschwunden. Seit dieser Zeit erzählte sie in der ganzen Nachbarschaft, dass mir die Arbeit nicht schmecke. Und seit jener Zeit umging ich sie in weitestem Bogen.


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