Märchen 85 die faule Jugend
Learn languages (via Skype): Rainer: + 36 20 549 52 97 or + 36 20 334
79 74
|
------------------------------
|
Die faule Jugend
“Diese Jugend von heute ist
einfach verweichlicht. Die wollen nicht mehr richtig arbeiten.“ hörte ich die
alten Nachbarinnen durch die Wohnungstür im Treppenhaus des alten, noch aus
richtigen Ziegelsteinen gebauten Mietshauses, das ich mit zehn anderen Parteien
bewohnte. Ich kümmerte mich nicht sehr darum, da ich mich sowieso nicht
unbedingt als Mitglied der Gesellschaft betrachtete, und wie die eine die
andere Schicht schalt (schelten / schilt, schalt, h. gescholten), berührte
mich nicht im Geringsten. Es war eine Kleinstadt und ich hatte meinen
Zwei-Zimmer-Unterschlupf in einem Außenbezirk mit vielen Gartenhäusern. Im
Winter musste natürlich der Gehsteig schneefrei gehalten und im Sommer
manchmal gefegt werden. Dies geschah durch Arbeitsteilung. Jeder im Haus
bekam eine Woche zugeteilt, was einen Rhythmus von zehn Wochen ergab. Hatte
man Glück, so war man gerade dann an der Reihe, wenn es eigentlich nichts zu
tun gab.
Bei einer dieser
Gelegenheiten kam eine ältere, wohlbeleibte Frau gerade vom Einkaufen und als
sie mich sah, lobte sie mich, wie fleißig ich doch sei, wartete einen Atemzug
und bat mich dann, ihr doch beim Tragen der schweren Taschen zu helfen. Ich
bin keine Jesus-Figur, aber wenn man mich höflich bittet, kann ich so etwas
meist nicht zurückweisen. Ich half ihr also, die Taschen zu tragen, es waren
ja nur ungefähr dreihundert Meter ein bisschen den Berg hinauf. Auf diesem
kurzen Weg erzählte sie mir einen Teil ihres Lebens, wie schwer die Kriegs-
und Nachkriegszeit gewesen sei, dass ihr Mann sie schon einige Zeit verlassen
habe, um in einer glücklicheren Welt, da oben neben Gott, seinen würdigen
Platz einzunehmen. Hierzu führte sie mit der Hand die Kreuzbewegung auf ihrer
Brust aus. Beim Gartentor angekommen schloss sie es auf und ich trug die Taschen
bis zur Haustür. Dabei ging es durch einen ziemlich großen Garten, der ein
wenig verwahrlost aussah. Ihr Sohn wohne in der Stadt und helfe ihr überhaupt
nicht. „Naja,“ dachte ich bei mir, „ich hätte auch bessere Dinge zu tun.“
Natürlich sagt man so etwas nicht laut, sondern lässt nur seine Gedanken
schweifen. Beim Abschied drückte sie mir noch einen Apfel aus ihrem Garten in
die Hand und nannte mich ihren Sohn.
Es verging keine Woche, als
sie sich vor dem Haus, in dem ich wohnte, mit einer anderen Nachbarin
unterhielt. Im Vorbeigehen grüßte ich sie und wollte meinen Weg fortsetzen,
um ins Schwimmbad zu gehen. Sie hielt mich auf und bat mich ihr doch am
nächsten Tag zu helfen, den kleinen Komposthaufen ein bisschen umzuschichten,
da sie in ihrem Alter zu so schwerer Arbeit nicht mehr fähig sei. Ein
bisschen die Stirn runzelnd willigte ich ein und begab mich am nächsten
Morgen zur besprochenen Zeit zu ihrem Haus. Nach kurzem kam sie mit einem
strahlenden Gesicht heraus, führte mich in den anderen Teil des Gartens
hinter ihrem Haus. Nun zeigte sich erst richtig der ganze Umfang des
Eigentums, das einen ganzen Mann in Vollzeitbeschäftigung benötigt hätte, um
dort Ordnung zu schaffen und dann auch weiterhin aufrechtzuerhalten. Sie
stand neben mir und erzählte mir Geschichten und ein paar ihrer eigenen
Gedanken, vielleicht, um mich zu unterhalten. Zum Beispiel, dass sie nicht
verstehe, warum diese jungen Leute Sport treiben, wo doch Gartenarbeit
wesentlich gesünder wäre und vor allem auch noch nützlich. Während ich
schwitzte, fragte sie mich, ob ich ein Bügeleisen habe. Aber da ich
eigentlich nur T-Shirts, Pullover und Jeans trug, wäre ich nie auf den
Gedanken gekommen, so etwas zu kaufen. Nach Beendigung der Arbeit gab sie mir
ein altes, elektrisches Bügeleisen und wollte mich überreden am nächsten Tag
wieder zu kommen, um einige andere Tätigkeiten im Garten zu erledigen. Ich
drückte ihr das unnütze Geschenk, oder vielleicht Bezahlung wieder in die
Hand und war mit schnellen Schritten aus dem Garten verschwunden. Seit dieser
Zeit erzählte sie in der ganzen Nachbarschaft, dass mir die Arbeit nicht
schmecke. Und seit jener Zeit umging ich sie in weitestem Bogen.
|
-----------------------------------------------
|
--------------------------------------------------
|
-------------------------------------------------
|
---------------------------------------------------
|
|
Sonntag, 23. August 2020
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen