Märchen 76 der alte Affe erzählt 1
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Der alte Affe erzählt 1
Der alte Affe saß auf der
Veranda seines Baumhauses im Hängestuhl, rauchte seine Pfeife und hörte den
Geräuschen des Urwaldes zu. Auf seinem Schoß lag ein altes Buch.
Seine Enkelin kam aus dem
Vorzimmer, ließ sich neben ihm nieder. „Großvater! Erzähl mir ein bisschen
über die guten, alten Zeiten!“ – „Die guten, alten Zeiten, hmm. Die waren
vielleicht nicht so gut!“ – „Aber du erzählst doch immer so lustig.“ –
„Natürlich, aber das bedeutet nicht, dass ich diese Ereignisse damals
wirklich so empfand.“ – „Erzähl doch!“ – bat sie. Er zündete erneut seine
Pfeife an, die seither ausgegangen war und begann.
Ich wurde in eine kleine
Gemeinde geboren. Das ist, woran ich mich erinnern kann. Es gab dort einen
sehr alten Tempel des Bananengottes. Der Priester war ein großer, dicker Mann
mit dünnen Beinen, der immer den jungen Weibchen hinterher sah. Aber ich
glaube, dass er ein gutes Herz hatte, weil er mit Kindern gut umgehen konnte.
Die älteren Mitglieder der Gemeinde waren mit ihm nicht so zufrieden, sie
hielten ihn für unmoralisch. Auch ich denke nicht, dass er ein Heiliger war.
Aber man kann doch nur von Leuten mit Lebenserfahrung erwarten, entsprechend
informiert oder beraten zu werden.
Jeden Morgen also, wenn alle
auf Futtersuche gingen, wurde ein älteres Mitglied ausgewählt, um auf die
Jungtiere aufzupassen. So schickten meine Eltern auch mich dorthin. Sehr oft
kam ich aber verspätet an. Die Aufpasserin erkundigte sich bei meiner Mutter
darüber. Bis sie herausfanden, dass ich mich im Tempel eingefunden hatte. Das
bestätigte natürlich nicht unbedingt meinen Glauben an den Bananengott, war
aber durchaus ein Zeichen für meine Neigungen. Ansonsten waren die
Aufpasserinnen nicht sehr von meiner Anwesenheit begeistert, wahrscheinlich,
weil sie nicht ganz wussten, was sie mit mir anfangen sollten.
Das Wohngebiet war nicht
sehr groß und ziemlich ungefährlich und da ich, als einigermaßen
übergewichtiger, dem Spielen und Treiben der anderen sowieso nicht hätte
folgen können, machte ich meist allein Ausflüge.
Erfahrung prägt und
verändert die Persönlichkeit. Aber dies ist im Allgemeinen in einer kleinen
Gemeinschaft nicht so einfach. Jeder wird eingestuft und in das
Gemeinschaftsmosaik eingepasst. Will er sich nicht eingliedern, oder denkt,
anders zu sein, wird die Ordnung gestört. Eine kleine, enge Gruppe erzeugt
Inflexibilität und führt auf längere Zeit zu Intoleranz.
Später begann der Unterricht
und am ersten Tag wurde für die Neulinge ein großes Fest veranstaltet. Man
wollte ihnen das Wunderbare des Lernens schmackhaft machen. Früh genug musste
ich jedoch feststellen, dass die Unterrichter selbst einfach nur Bananen und
Kokosnüsse im Kopf hatten. So war es auch kein Wunder, ich passte selten auf.
Ich fehlte fast nie, aber dies war wahrscheinlich eher dem Zwang der
Gewohnheit zuzuschreiben. Es war eine dünne, aber doch eine Verbindung zur
Gemeinschaft. In allem anderen unterschied ich mich von ihr. Während des
Unterrichts lag ich meist mit den Armen hinter dem Kopf gekreuzt irgendwo am
Rande der Gruppe auf einem Ast mit herrlichem Blick in die Ferne.
Als der Unterrichter mich
einmal fragte, was ich gerade mache, schaute ich ihn nur kurz mit einem Blick
„Stör mich nicht!“ an und sah weiter auf die weiten Berge. Eines der jungen,
weiblichen Tiere drehte sich zu mir mit „Wenn’s dir net gfällt, dann geh doch
ham!“ herum. Jetzt hatten auch alle anderen ihren Kopf in meine Richtung
gewandt. Gesichtsausdrücke des Unverständnisses zeigten mir, dass ich hier
eigentlich nichts verloren hatte. Langsam stand ich auf und ging weg. Der
Unterrichter rief mir noch nach – „Ich hab‘ dir das aber nicht erlaubt!“ Ich
kam ein paar Äste zurück und antwortete – „Dich hat auch niemand gefragt.“
Ein Bruch war geschehen, der mich über die Berge katapultieren sollte. So wie
mir, fehlte auch ich keinem.
Es dauerte lange bis ich zu
den Höhen kam. Was war wohl auf der anderen Seite? Hinter mir verschwammen
die Baumwipfel langsam zu einem grünen, einheitlichen Teppich. Voller
Hoffnung, ohne das Gefühl von Hunger und Durst stieg ich hinauf, am Ende auf
allen vieren.
Aber wie groß war meine
Enttäuschung, vor mir das gleiche Bild zu haben, wie hinter mir. Jedoch
zurück wollte ich nicht. Was für eine Blamage wäre das wohl gewesen, schon
nach so kurzer Zeit wiederzukommen. Als ich mich so langsam dem Tal näherte,
konnte ich nochmals das gleiche Spiel nur umgekehrt verfolgen. Der
einheitlich grüne Teppich verwandelte sich Stück für Stück in Bäche, Flüsse,
Seen, Lichtungen, Wälder und Bäume. Als mir dann die ersten Affen entgegenkamen,
versteckte ich mich, ließ sie an mir vorbeigehen. Das Seltsame dabei war,
dass sie fast genauso aussahen, auch die Kleidung unterschied sich nicht
wesentlich von der meiner Heimat. Aber ich konnte nicht verstehen, was sie
sagten. Sie hatten eine andere Sprache. Sogar die Dörfer waren nach dem
gleichen Muster eingerichtet. Es gab Orte für Kinder, Dorfplätze,
Vorratskammern und Bauwohnhäuser, überall das Gleiche. Aber wozu bedurften
sie dann einer anderen Art der Verständigung?
Plötzlich packte mich eine
Hand von hinten am Nacken. Ich wollte mich herumdrehen, aber diese eiserne
Hand drückte meinen Kopf gegen den Boden. Andere Hände hielten meine Arme und
Beine zusammen, ich wurde gebunden, man schob mir etwas in den Mund, damit
ich nicht schreien konnte, zuletzt zog man mir noch einen Sack über den Kopf
und dann wurde es Nacht. Ich wurde irgendwohin gebracht. Wo ich jetzt war,
war es kühl, ich hörte eine Tür, die geschlossen wurde. Ich weiß nicht, wie
lange ich dort lag, schlief nach einiger Zeit ein. Der Weg über die Berge und
der Hunger hatten seine Wirkung getan. Ich war einfach müde und erschöpft.
Als ich wieder aufwachte,
hatte man meine Arme und Hände an eine Art Pritsche gebunden, die sich jetzt
langsam aufstellte. Der Sack wurde von meinem Kopf gezogen, ich schaute in
ein Licht.
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Montag, 17. August 2020
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