Montag, 17. August 2020

Märchen 78 der alte Affe erzählt 3
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Der alte Affe erzählt 3

Mein Engel kümmerte sich nicht nur um meine Pflege, sie nahm sich auch meiner Schulung an. Ich musste doch die Sprache lernen, wollte man mich in die Gesellschaft meiner neuen Umgebung eingliedern. Sie hatte zwar von Struktur und Aufbau der Verständigung keine Ahnung, aber mit viel Zuneigung ging sie ans Werk, jeden Tag ein paar neue Wörter, Redewendungen oder ganze Sätze. Für mich war es nicht die erste Sprache und so begann ich, die verschiedenen Sprachstrukturen miteinander zu vergleichen. Schnell ging es voran, bis ich mein Krankenlager verlassen konnte, war ich verständigungsfähig. Wahrscheinlich hatte auch sie an der ganzen Sache Gefallen gefunden, so trafen wir uns auch weiterhin jeden Tag zum gemeinsamen Lernen. Dabei zeigte sie mir langsam die ganze Stadt. Da die Oberfläche von Raubkatzen beherrscht wurde, hatte dieses Affenvolk im Untergrund eine Heimat geschaffen. Sie ernährten sich hauptsächlich von Wurzeln und Pilzen. Zum Schutz gegen Fleischfresser legte man tiefe Fallen an, wie die eine, in die ich gefallen war und die mir das Leben gerettet hatte.
Viele Affenmännchen schauten uns neidisch nach, wenn wir durch die unterirdischen Alleen spazierten. Sie hätte jeden von ihnen bekommen können. Was zog sie bei mir an? Mein Freigeist? Wenn wir uns schon für etwas entscheiden, ohne zu extravagant zu sein, soll es doch etwas Besonderes sein, interessant, ein bisschen spannend, aufregend, jeden Tag ein bisschen neu. Es gibt nichts Schlimmeres als Langeweile. Sie erzählte von ihrer Familie: Ihr Vater war Funktionär, nicht zu hochrangig, aber mit wichtigen Aufgaben. Ihre Mutter war die Oberkrankenschwester in der Krankenabteilung. Ich unterrichtete sie über meine bisherigen Abenteuer. Sie träumte davon, zu reisen und andere Kulturen kennenzulernen. Ich konnte ja schon damals so wunderschön erzählen, und ihr den Kopf verdrehen. Jeder meiner Geschichten klang, wie ein Märchen. Auch ihre Eltern sahen mich nicht gern, weil ich ihrer Tochter nur „dumme“ Ideen in den Kopf setzte. Sie hätten es gerne gesehen, wenn ich das Land so schnell wie möglich wieder verlasse. Die einen machte ich also neidisch, die anderen sahen in mir eine Gefahr für ihr gewohntes Leben.
Nicht alles endet so schön, wie es angefangen hat. Vielleicht wurde es mir oder ihr auch einfach langweilig. Vor allem hatte ich auch die Nase voll davon, dass es die Affen immer verdächtig fanden, wo ich gerade war, was ich gerade machte und so weiter. Eines Morgens wollte sich dann auch meine Schöne nicht unbedingt mit mir treffen und so beschloss ich, einen kleineren Ausflug in die Berge zu machen. Ich ging und ging, immer geradeaus, bevor ich mich versah, war die kleine Bergkette überwunden.
Diese neue Gegend kam mir so bekannt vor. Tatsächlich, es war mein Heimattal. Zuerst dachte ich natürlich daran, meine alten Gesellen aufzusuchen. Sie riefen auch sogleich alle Bekannten zusammen, so saßen wir an unserem alten Seeufer. Das Interesse das sie zeigten, war eine Mischung aus Neid und dem Wunsch, ihre Schadenfreude zu befriedigen. Sie hatten wirklich erwartet, dass ich als eine Art reuiger Büßer zurückgekommen sei und jetzt bei ihnen um eine Wiederaufnahme bitten würde. „Der verlorene Sohn war nach Hause gekehrt.“ Die Enttäuschung stand ihnen aufs Gesicht geschrieben, als ich mich verabschiedete.
„Hast du dabei auch deine Eltern besucht?“ – fragte jetzt die Enkelin, die während der ganzen Erzählung die Ohren gespitzt, aber mit den Augen die Ferne abgesucht hatte, als würden all die Stätten und Orte dort wirklich erscheinen. Der Großvater hielt eine kleine Pause. Nun drehte sich die Enkelin herum. Er sah auf den Boden, weil er eigentlich nicht daran gedacht hatte, dass auch dies zu seiner Geschichte gehörte. „Tja,“ – dachte er, - „Wie erzählt man über etwas, was einer selbst noch nicht ganz verarbeitet hat, was man ständig nur vor sich hergeschoben hat, weil man sich damit auch eigentlich nicht gerne beschäftigt? Einen Freund, Bekannten oder Sonstige können vergessen, aus dem Gedächtnis gestrichen werden. Aber Verwandte, also Blutsverwandte bleiben, die sucht sich keiner aus, die kann man nur umgehen. Und deshalb log er, das sollte nur selten in seiner Geschichte geschehen. Er wollte diese Leute nicht schlechter machen, als sie waren. „Nein, ich habe sie nicht besucht?“ – war seine Antwort, aber in seinem Kopf spielte sich ab, was schon tausend Mal seinen Sinn betäubt hatte.
Erst kurz vor seinem Weggang hatte er erfahren, dass sein Vater eigentlich nicht sein leiblicher Vater gewesen war. Ein korrekter Affe, der es seinen Adoptivsohn nie hatte merken lassen, dass sie keine Blutbande aneinander kettete, dafür würde er ihm immer dankbar sein. Aber jener war auch keine herausragende Persönlichkeit, einfach ein Durchschnittsaffe, wie tausend andere auf den Bäumen hockten. Er hätte sicherlich ein besseres Weibchen als seine Mutter verdient. Sie dagegen hatte zwar einen Willen, aber keinen Charakter, verfügte über eine gute Nase, um ihren Opportunismus zu unterstützen. Sein echter Vater war reich gewesen, sein Stiefvater, der sie aus dem Schlamassel gezogen hatte, arm, und der nächste wieder ein Herr über weite Bananenhaine.
Die Verwandten des Stiefvaters waren nicht viel besser gewesen, als seine eigene Mutter, hatten sie doch zur Zeit der großen Kriege immer die herrschenden Schichten unterstützt, waren dabei reich geworden, hatten nicht an die Front gehen müssen, sondern hatten im Hinterland lebenssichere Ränge besetzt, und konnten es jetzt nicht vertragen, dass jemand genauso frech Füße küsste.
Als diese Verwandten nun wieder einmal eine Gesellschaft zusammengerufen hatten, um irgendein Jubiläum zu feiern, wurde die neue Haartracht seines Stiefvaters auf sarkastische Weise gelobt. Jene war ein Werk seiner Mutter, was sie auch sofort zur Bemerkung veranlasste: „Tja, früher war er einfach ein grauer Affe, aber heute kann man ihn wenigsten anschauen.“ Seine Familie hatte eigentlich seine Frau empfindlich treffen wollen, sie aber wehrte sich schlagfertig, und die versalzte Suppe musste er, der Stiefvater auslöffeln.


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