Märchen 78 der alte Affe erzählt 3
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Der alte Affe erzählt 3
Mein Engel kümmerte sich
nicht nur um meine Pflege, sie nahm sich auch meiner Schulung an. Ich musste
doch die Sprache lernen, wollte man mich in die Gesellschaft meiner neuen
Umgebung eingliedern. Sie hatte zwar von Struktur und Aufbau der
Verständigung keine Ahnung, aber mit viel Zuneigung ging sie ans Werk, jeden
Tag ein paar neue Wörter, Redewendungen oder ganze Sätze. Für mich war es
nicht die erste Sprache und so begann ich, die verschiedenen Sprachstrukturen
miteinander zu vergleichen. Schnell ging es voran, bis ich mein Krankenlager
verlassen konnte, war ich verständigungsfähig. Wahrscheinlich hatte auch sie
an der ganzen Sache Gefallen gefunden, so trafen wir uns auch weiterhin jeden
Tag zum gemeinsamen Lernen. Dabei zeigte sie mir langsam die ganze Stadt. Da
die Oberfläche von Raubkatzen beherrscht wurde, hatte dieses Affenvolk im
Untergrund eine Heimat geschaffen. Sie ernährten sich hauptsächlich von
Wurzeln und Pilzen. Zum Schutz gegen Fleischfresser legte man tiefe Fallen
an, wie die eine, in die ich gefallen war und die mir das Leben gerettet
hatte.
Viele Affenmännchen schauten
uns neidisch nach, wenn wir durch die unterirdischen Alleen spazierten. Sie
hätte jeden von ihnen bekommen können. Was zog sie bei mir an? Mein
Freigeist? Wenn wir uns schon für etwas entscheiden, ohne zu extravagant zu
sein, soll es doch etwas Besonderes sein, interessant, ein bisschen spannend,
aufregend, jeden Tag ein bisschen neu. Es gibt nichts Schlimmeres als
Langeweile. Sie erzählte von ihrer Familie: Ihr Vater war Funktionär, nicht
zu hochrangig, aber mit wichtigen Aufgaben. Ihre Mutter war die
Oberkrankenschwester in der Krankenabteilung. Ich unterrichtete sie über
meine bisherigen Abenteuer. Sie träumte davon, zu reisen und andere Kulturen
kennenzulernen. Ich konnte ja schon damals so wunderschön erzählen, und ihr
den Kopf verdrehen. Jeder meiner Geschichten klang, wie ein Märchen. Auch
ihre Eltern sahen mich nicht gern, weil ich ihrer Tochter nur „dumme“ Ideen
in den Kopf setzte. Sie hätten es gerne gesehen, wenn ich das Land so schnell
wie möglich wieder verlasse. Die einen machte ich also neidisch, die anderen
sahen in mir eine Gefahr für ihr gewohntes Leben.
Nicht alles endet so schön,
wie es angefangen hat. Vielleicht wurde es mir oder ihr auch einfach langweilig.
Vor allem hatte ich auch die Nase voll davon, dass es die Affen immer
verdächtig fanden, wo ich gerade war, was ich gerade machte und so weiter.
Eines Morgens wollte sich dann auch meine Schöne nicht unbedingt mit mir
treffen und so beschloss ich, einen kleineren Ausflug in die Berge zu machen.
Ich ging und ging, immer geradeaus, bevor ich mich versah, war die kleine
Bergkette überwunden.
Diese neue Gegend kam mir so
bekannt vor. Tatsächlich, es war mein Heimattal. Zuerst dachte ich natürlich
daran, meine alten Gesellen aufzusuchen. Sie riefen auch sogleich alle
Bekannten zusammen, so saßen wir an unserem alten Seeufer. Das Interesse das
sie zeigten, war eine Mischung aus Neid und dem Wunsch, ihre Schadenfreude zu
befriedigen. Sie hatten wirklich erwartet, dass ich als eine Art reuiger
Büßer zurückgekommen sei und jetzt bei ihnen um eine Wiederaufnahme bitten
würde. „Der verlorene Sohn war nach Hause gekehrt.“ Die Enttäuschung stand
ihnen aufs Gesicht geschrieben, als ich mich verabschiedete.
„Hast du dabei auch deine
Eltern besucht?“ – fragte jetzt die Enkelin, die während der ganzen Erzählung
die Ohren gespitzt, aber mit den Augen die Ferne abgesucht hatte, als würden
all die Stätten und Orte dort wirklich erscheinen. Der Großvater hielt eine kleine
Pause. Nun drehte sich die Enkelin herum. Er sah auf den Boden, weil er
eigentlich nicht daran gedacht hatte, dass auch dies zu seiner Geschichte
gehörte. „Tja,“ – dachte er, - „Wie erzählt man über etwas, was einer selbst
noch nicht ganz verarbeitet hat, was man ständig nur vor sich hergeschoben
hat, weil man sich damit auch eigentlich nicht gerne beschäftigt? Einen
Freund, Bekannten oder Sonstige können vergessen, aus dem Gedächtnis
gestrichen werden. Aber Verwandte, also Blutsverwandte bleiben, die sucht
sich keiner aus, die kann man nur umgehen. Und deshalb log er, das sollte nur
selten in seiner Geschichte geschehen. Er wollte diese Leute nicht schlechter
machen, als sie waren. „Nein, ich habe sie nicht besucht?“ – war seine
Antwort, aber in seinem Kopf spielte sich ab, was schon tausend Mal seinen
Sinn betäubt hatte.
Erst kurz vor seinem Weggang
hatte er erfahren, dass sein Vater eigentlich nicht sein leiblicher Vater
gewesen war. Ein korrekter Affe, der es seinen Adoptivsohn nie hatte merken
lassen, dass sie keine Blutbande aneinander kettete, dafür würde er ihm immer
dankbar sein. Aber jener war auch keine herausragende Persönlichkeit, einfach
ein Durchschnittsaffe, wie tausend andere auf den Bäumen hockten. Er hätte
sicherlich ein besseres Weibchen als seine Mutter verdient. Sie dagegen hatte
zwar einen Willen, aber keinen Charakter, verfügte über eine gute Nase, um
ihren Opportunismus zu unterstützen. Sein echter Vater war reich gewesen,
sein Stiefvater, der sie aus dem Schlamassel gezogen hatte, arm, und der
nächste wieder ein Herr über weite Bananenhaine.
Die Verwandten des
Stiefvaters waren nicht viel besser gewesen, als seine eigene Mutter, hatten
sie doch zur Zeit der großen Kriege immer die herrschenden Schichten
unterstützt, waren dabei reich geworden, hatten nicht an die Front gehen
müssen, sondern hatten im Hinterland lebenssichere Ränge besetzt, und konnten
es jetzt nicht vertragen, dass jemand genauso frech Füße küsste.
Als diese Verwandten nun
wieder einmal eine Gesellschaft zusammengerufen hatten, um irgendein Jubiläum
zu feiern, wurde die neue Haartracht seines Stiefvaters auf sarkastische
Weise gelobt. Jene war ein Werk seiner Mutter, was sie auch sofort zur
Bemerkung veranlasste: „Tja, früher war er einfach ein grauer Affe, aber heute
kann man ihn wenigsten anschauen.“ Seine Familie hatte eigentlich seine Frau
empfindlich treffen wollen, sie aber wehrte sich schlagfertig, und die
versalzte Suppe musste er, der Stiefvater auslöffeln.
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Montag, 17. August 2020
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