Donnerstag, 6. August 2020

Märchen 74 Traum oder Wirklichkeit?
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Traum oder Wirklichkeit?

Er kannte sie schon sehr lange, sie waren zusammen in die Schule gegangen. Sie in die Mädchenklasse und er in die der Jungs.
Sie hatten besprochen, einen kleinen Ausflug mit dem Fahrrad zu machen. Er sollte die Fahrräder besorgen und sie die feinen Happen. Und so wartete er nun am geheimen Treffpunkt am Rande des Waldes. Ungeduldig! Würde sie kommen?
Ihre Eltern sahen es nicht gern, dass sie sich trafen, vor allem, weil er arm war. Aber seitdem sie erfahren hatten, dass er Theologie studieren wolle, um Pfarrer zu werden, hatten sie sich beruhigt, weil er als Katholik sowieso nicht heiraten konnte. „Aber warum will er sie dann treffen?“ – war die Frage ihrer Eltern, auch seine Familie verstand es nicht. Und wenn er Marie, mit dem heiligen Namen, von seinen Plänen erzählte, wurde sie ein bisschen eifersüchtig, dass Gott für ihn wichtiger als sie war.
Aber seine Sorge war umsonst, sie kam pünktlicher als die Kirchenuhr. Denn letztere schlug manchmal 5 oder 10 Minuten zu spät, vereinzelt auch gar nicht, abhängig davon, wie betrunken der Dorfpfarrer eben war. „Willst du auch so einer werden?“ – fragte sie ihn dann vorwurfsvoll.
Sehnsüchtig schlang sie ihre Arme um seinen Hals und er streichelte zärtlich ihr Haar, das lang über ihre Schultern bis zu den Hüften fiel. Ja, er liebte sie mehr als Gott, viel tiefer. Aber um Gott musste er nicht gegen ehrgeizige Eltern kämpfen, die ihre Tochter nicht mit irgendeinem Dahergelaufenen verheiraten wollten.
Sie fuhr voraus, als wollte sie um die Wette fahren. Oder konnte sie es nicht mehr erwarten, in den Wald zu kommen, wo sie vor störenden Blicken verschont waren. Wild flog ihr langes Haar im Wind. Er begehrte sie, wie ein Mann sich nach einer Frau sehnt.
Schließlich kamen sie an eine kleine Lichtung mit einer Quelle. Zielstrebig ging sie auf einen bestimmten Ort zu, sie musste ihn schon kennen, legte die Decke aus, stellte das Essen und Trinken darauf und lud ihn ein, sich neben ihr niederzulassen. Die Decke war nicht groß, vielleicht absichtlich, so dass sie sich an mehreren Stellen berührten, fast aneinander schmiegten. Sie machte kleine Happen und fütterte ihn, er ließ sich verwöhnen, oder umsorgen, oder bemuttern, oder einfach lieben. Er war nicht der Mensch, der sich gerne widersetzte.
Manchmal verschmierte sie auch absichtlich ein bisschen Speise um seinen Mund, um es mit einem Zungenkuss abzulecken. Immer wilder wurden diese kleinen Spielchen, bis sie sich schließlich langsam die Kleider vom Leib gezerrt hatten, um sich gegenseitig ins Paradies zu schicken.
Mehrmals noch tranken sie an diesem wunderschönen Tag voneinander.
Auf der Rückfahrt waren sie dann still. So ein Geschehnis war nicht das Erste gewesen, aber jetzt sollte es für eine Zeit das Letzte gewesen sein. Als ihre Siedlung in Sicht kam, hielt sie an. Sie wollte sich noch einmal in seine Arme werfen, weil sie wusste, dass es für lange Zeit, oder vielleicht für immer das letzte Mal war.
Danach ging sie los, zu Fuß, er wartete noch ein bisschen, bevor er zuerst mit dem einen Fahrrad und dann später mit dem anderen zurückfuhr. Keiner sollte erfahren, dass sie sich getroffen hatten. Und sie hatte mitgemacht.
Als sie sich umdrehte, standen ihr die Tränen in den Augen. Jetzt weinte auch er, wie ein Kind. Was sollte er tun?
Er wachte auf und saß auf seiner Bank im Klostergarten im Schatten des Baumes, den er selbst 50 Jahre vorher gepflanzt hatte, und dankte Gott, dass er ihn auch diese schönste Seite des Lebens hatte kennenlernen lassen.
Einige Brüder kamen vorbei, um ihn zu suchen, weil er nicht beim nachmittäglichen Gebet erschienen war. Er hatte ein sonderbar zufriedenes Lächeln auf dem Gesicht. „Wahrscheinlich hat er Gott in seiner Herrlichkeit gesehen!“ – dachten die Dummen. Aber die meisten wussten, dass er auf Erden noch einmal glücklich gewesen war.
Aber was wäre passiert, hätte er weitergeträumt? Oder hatte er diesen Teil absichtlich verdrängt?
Seinen Brüdern und Schwestern war er als absolut keusch und moralisch bekannt. Jungfrau Maria in männlicher Gestalt, und dazu noch weise. Kam denn keiner auf die Idee, darüber nachzudenken, woher diese Fähigkeit, sich in die Situation anderer hineinzuversetzen, gekommen war? Gibt es doch Dinge, die man erleben muss, und nicht aus Büchern lernen kann? Sehr oft hatte er ihnen Ratschläge gegeben, zerstrittene Paare wieder zusammengeführt.
Ja, manchmal träumte er auch weiter, wie er sie traf, als er schon Geistlicher und sie verheiratet war, oder von anderen kleineren Liebeleien. Aber nicht heute! Heute wollte er einfach glücklich sein, wie jeder andere Sündige.


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