Märchen 81 der alte Affe erzählt 6
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Der alte Affe erzählt 6
Es klang nicht gerade sehr
überzeugend, als er da von einer „Gemeinschaft“ sprach. Jedwedes
Zusammenleben ist eine Struktur oder Gesellschaft, aber Gemeinschaft hörte
sich einfach zu idealistisch an, stand im Gegensatz zu dem Autoritätsprinzip,
das sich hier vor meinen Augen zeigte. Er merkte, dass ich ihm kein Wort
glaubte und begann mich zu provozieren. Er hatte damit angefangen und musste
jetzt vor den anderen seine Fähigkeit beweisen, auch über mich zu herrschen,
wollte er die Achtung der Gruppe ihm gegenüber aufrechterhalten. Immer
aggressiver wurden seine Gesten, und als er merkte, dass ich nicht reagierte,
zog er sein Messer. Etwas, was ich schon bei meinem ersten Kontakt mit
Kulturen und Affen gelernt hatte: „Angst zerstört das Selbstwertgefühl, und macht
einen verwundbar, und eine prompte Reaktion entwaffnet den Gegner.“ Beim
Griff nach seinem Messer hatte ich einen brennenden Stock aus dem Feuer
gerissen und ihm ins Gesicht gestochen. Die Herumsitzenden waren so
überrascht, dass sie wie gelähmt dastanden. Der geblendete Anführer schrie
wie am Spieß, alle kümmerten sich um ihn. In diesem Durcheinander wurde ich
immer weiter in den Hintergrund gedrängt. Langsam drehte ich mich um und
verschwand in der Nacht.
Ich war ungefähr fünfzig
Meter gegangen, als ich hinter mir Fackeln und Schritte vernahm. Die Horde
begann, mich zu suchen. Es war stockdunkel, der Mond von Wolken ganz
verdeckt. Ich wusste nicht, wohin ich ging, was nicht ganz ungefährlich war,
hinter mir die aufgebrachten Affen, vor mir vielleicht ein Abhang. Noch
ließen sich die Lichter der Fackeln sehen. Bis Sonnenaufgang musste ich weit
genug entfernt sein, um nicht entdeckt zu werden. Am nächsten Morgen stieg
ich auf eine Spitze, überall das gleiche Bild, schier endlos Bergkuppen.
Zurück konnte ich nicht mehr, nur geradeaus vorwärts. Bergtäler mit trockenem
Gestrüpp und Kakteen, oder steinige Bergrücken. Einen Berg hinauf, Steine und
Felsen, je nach Höhe auch mal ein bisschen Schnee, auf der anderen Seite
wieder hinunter, durch das Bergtal, affenhohe, ausgetrocknete, stachelige
Sträucher und Kakteen. Ein Fortkommen war nur dort möglich, wo das bei der
Schneeschmelze herunterfließende Wasser kleinere Flussbette ausgewaschen
hatte. Als ich mich sicher fühlte, ging ich nur am Tag. An einem Kaktus erblickte
ich eine Knolle in einladender roter Farbe. Das müsste doch eine Frucht sein.
Ich biss hinein. Der Geschmack war auch süß. Aber an der Schale gab es
winzige Stacheln, die mir jetzt an Händen und Lippen hingen.
Drei Tage dauerte dieses
herumirren, bevor ich auf einen Trampelpfad stieß. Ich wusste nicht, in
welche Richtung ich ging, da die Wolken sowohl in der Nacht die Sterne, als
auch am Tag die Sonne verdeckten. Die eine Richtung dieses fußbreiten Pfades
ging nach oben, die andere nach unten. Ich brauchte ein wenig Feuer, um mich
aufzuwärmen und etwas zum Essen. Auch das Wasser war nicht das Beste, umso
mehr ich trank, desto durstiger wurde ich. Wir trinken nicht nur, um
Feuchtigkeit aufzunehmen, sondern brauchen Mineralien und Salze. Natürlich, Schmelzwasser
oder Regenwasser haben keine Zeit diese Bodenschätze in sich zu lösen.
Der Weg nach unten ist
erfahrungsgemäß leichter, als der nach oben, und so ging es auch ziemlich
schnell. Als ich wieder um einen Felsen herumgekommen war, sah ich plötzlich
in der Ferne ein kleines Feuer. Aber wie groß war doch meine Enttäuschung,
feststellen zu müssen, dass es das Bergtal der Horde war. Augenblicklich
kehrte ich um und war vielleicht noch schneller oben, als auf dem Weg
hinunter. Inzwischen war es wieder Nacht geworden und fast unmöglich, die
Tatze vor den Augen zu sehen. Verständlicherweise wollte ich den Mitgliedern
der Horde nicht in die Arme laufen und stolperte weiter. Es ging an einer
Felswand entlang, der Weg wurde immer schmäler, bis ich vor einem Abgrund
stand. Wie tief es dort hinunterging, war nicht zu erkennen, nur das Brausen
des Wassers, das dort in der Tiefe vorbeiraste, erfüllte meine Ohren.
Vorsichtig das Gleichgewicht haltend begab ich mich über eine immer enger
werdende Steinbrücke. In der Mitte pfiff der gnadenlose Wind und ich ging auf
alle viere herunter. Ganz entkräftet fiel ich auf der anderen Seite auf den
Rücken. Als ich ein paar Stunden später, es war schon wieder Tag geworden,
erwachte, sah ich mir die ganze Sache noch einmal an und war überzeugt, dass
ich da nicht noch einmal zurückgehen würde. Eine tiefe Schlucht, von ein paar
hundert Metern, nicht breiter, als vielleicht zehn oder zwölf Meter. Unten
presste sich das Wasser reißend durch diese Enge und oben pfiff der Wind. Ein
ständiges Toben und Pfeifen verstärkt durch das Echo machte mich fast taub.
Die Brücke bestand aus einem riesigen, länglichen Felsen, der aus der einen
Felswand herausgestürzt, aber zu groß gewesen war, um durch die enge Schlucht
ganz nach unten zu fallen.
Jetzt ging ich wieder nur
bei Tageslicht weiter, diese Wege wären eigentlich für Gämsen ideal gewesen.
Langsam führte es nach unten und irgendwo hörte der Pfad dann einfach auf. Um
mich herum steile Wände und vor mir ein schneller Bach, der links aus der Wand
kam und in der rechten Wand in einem Tunnel verschwand. Wie sollte es nun
weitergehen?
Die Erfahrung hatte gezeigt,
dass das Wasser entweder vom Himmel regnet oder aus dem Boden quillt.
Vielleicht war dieses Gewässer so ein Beginn. Ich stieg also hinein und ging
langsam mit dem Wasser in die Tunnelöffnung. Natürlich wurde es immer dunkler
und ich schlug mir diesen oder jenen Körperteil an der unebenen Wand oder
Decke an oder rutschte auf den glitschigen Felsen aus. Ich war schon ein
ganzes Stück gegangen, da fiel ich plötzlich in die Tiefe und verlor das
Bewusstsein.
Als ich wieder erwachte, sah
ich um mich herum Blumen, summende Bienen, hübsche Affenmädchen. War ich tot
und das das Paradies des Bananengottes?
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Montag, 17. August 2020
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