Märchen 77 der alte Affe erzählt 2
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Der alte Affe erzählt 2
Mit einer fremden Aussprache
fragte mich eine Stimme: „Was spionierst du hier herum?“ Es war richtig, ich
hatte mich wie ein Agent versteckt und den Leuten zugeschaut, ihnen zugehört.
Was konnte ich jetzt darauf antworten? Da nach meinem Wissen keiner der Affen
je über die Berge gegangen war, fiel es mir auch nicht ein, dass die Affen
dort feindlich gesinnt sein könnten. Ich schwieg, weil ich nicht wusste, was
ich hätte sagen sollen und machte mich dadurch nur noch verdächtiger. Man
ließ mich wieder allein, aber jetzt konnte ich mir wenigstens den Raum, oder
besser die Zelle, in der ich war, ein bisschen anschauen. In meinem
Heimatland gab es so etwas meines Wissens nicht. Oder vielleicht hatte man es
mir nie gezeigt? Wir lebten dort alle auf den Bäumen und kamen nur zum
Wassertrinken auf den Boden.
Nach ein paar Tagen neben
halbverfaulten Bananen und abgestandenem Wasser brachte man mich an einen Ort
unter einem Baumhausdorf, um dort die Abfälle auf dem Boden
zusammenzusammeln. Es stank fürchterlich, da lag ein Gemisch von Obstresten,
Kot und Urin. Ich sollte also Sklavenarbeit verrichten. Zum Essen bekam ich
nichts, was es da an Früchteresten gab, und der kleine verschmutzte Bach
schien mir als Nahrung zugedacht. Wenn ich nicht arbeitete, bewarf man mich
mit Abfällen. Eine unäffliche Behandlung! In der Nacht musste ich dort auf
dem Boden schlafen.
Langsam lernte ich, ihre
Sprache zu verstehen, obwohl jedweder Kontakt mit mir vermieden wurde. Schon
einige Monate dauerte dieser Zustand, und es gab nicht gerade rosige
Aussichten, wie ich hier wieder herauskommen sollte. Als ich einmal so vor
mich hinträumte und wahrscheinlich zu langsam arbeitete, traf mich ein
Apfelputzen am Kopf. Zornig erhob ich die Faust und rief in ihrer Sprache:
„Glaubt ihr, dass dies ein affenwürdiges Verhalten ist?“ Hämisches Gelächter
war die Antwort, aber von diesem Tag an bewarf man mich wenigstens nicht mehr
mit Abfall.
Und irgendwann kam mir dann
der Gedanke, was wohl passieren würde, wenn ich einfach fortginge. Ich
bewegte mich also ganz normalen Schrittes in eine Richtung, ohne die kleinste
Reaktion hervorzurufen. Als ich das Ende des Tales erreicht hatte, war es sicher,
dass ich das eigentlich schon viel früher hätte tun können. Es war nur die
anfängliche Einschüchterung gewesen, die mich zurückgehalten hatte. Oder
einfach meine Dummheit?
Nun ging es wieder bergauf,
aber dieses Mal war ich nicht mehr so neugierig darauf, was sich wohl auf der
anderen Seite zeigen sollte, zuerst musste nämlich dieser Ort verlassen
werden. Ich schaute nicht einmal zurück. Als ich oben angekommen war, tat
sich vor mir eine Hochebene auf, mit wenigen Bäumen, aber zwei Meter hohen
Gräsern und Sträuchern. Welches Affenvolk sollte wohl hier sein Leben
fristen? Jetzt hatte ich aber nicht vor, mich zu verstecken. Aufrecht und
ziemlich auffällig bahnte ich mir einen Weg durch das Gestrüpp.
Das sollte sich jedoch
schnell ändern, als ich ein fürchterliches Gebrüll vernahm. Das waren keine
Affen, es klang mehr nach riesigen Kätzchen. Schnell begab ich mich in
Richtung eines nahstehenden Baumes, um einmal darauf geklettert einen
Überblick über die Lage zu bekommen.
Ich schlich also von Baum zu
Baum, drang so immer tiefer in die Ebene hinein. Nachts schlief ich auf einem
der Früchte trug. Manchmal hörte ich dieses Katzenvieh, konnte aber niemals
eines sehen. Tja! Wer versteckte sich hier vor wem? Wenn Gefahr keine
wirkliche Form annimmt, wird man unvorsichtig. Das sollte auch mir so
ergehen. Als ich so dahinschlenderte, wurde ich plötzlich darauf aufmerksam,
dass mir etwas folgte. Wenn ich ging kam es näher, wenn ich anhielt, stoppte
es auch. Es war nicht mehr weit entfernt, da nahm meine Nase den penetranten
Geruch von Fleischfressern auf. Jetzt kam die Angst! Wo war der nächste Baum?
Meine Verfolger hatten auch bemerkt, dass sie meine Aufmerksamkeit erweckt
hatten. Und so begann die wirkliche Jagd.
Ich nahm die Beine in die
Hand und flog förmlich über Gestrüpp und Büsche, aber das Kätzchen kam immer
näher. Alle Körperfunktionen hatten ihre Arbeit eingestellt, nur die
Fortbewegung rotierte auf vollen Touren. Wahrscheinlich wunderten sich meine
Verfolger, wie ein Affe so schnell laufen kann. Doch half es nichts, die
Entfernung verkürzte sich von Schritt zu Schritt. Hinter mir setzte jener zum
letzten, entscheidenden Sprung an. Ich fühlte schon den tödlichen Atem an
meinem Nacken, als ich den Boden unter den Füßen verlor. Wie eine Ewigkeit
erschien es mir, Dunkelheit um mich, dann ein harter Aufprall. Bestimmt hatte
ich mir jeden Knochen gebrochen, jedoch fühlte ich es nicht. Oben am Rand des
Loches sah ich in ziemlicher Entfernung das Katzenvieh. Es hätte ohne
Probleme herunter, aber sicher nicht wieder hinaufspringen können. Verärgert
und fauchend schaute es zu mir in die Tiefe. Dann verlor ich das Bewusstsein.
Du brauchst Verbündete,
jeder Feind deines Gegners ist dein Freund.
Ich vernahm eine zärtliche
Stimme und glaubte mich im Paradies. Ein weibliches Affenengelchen mit einem
wunderschönen Gesicht schwebte mir vor meinen geistigen Augen. Dieses
Engelchen wechselte gerade den Verband an meiner Stirn. Ich machte langsam
die Augen auf und da war sie, jung und hübsch. Sie sagte mir etwas, was ich
natürlich wieder nicht verstand. Naja, erneut ein anderes Land mit einer
anderen Sprache. Ob man wohl auch im Paradies eine fremde Sprache hat? Das
Bild verschwand.
Ich stellte mir vor, dass
ich ihr eine Liebeserklärung mache. Aber die Überraschung war groß, als sich
beim nächsten Erwachen, das Engelchen in einen bärtigen, alten Affen
verwandelt hatte. „Wo ist mein Engel?“ – fragte ich. „Gott ist viel zu
hässlich!“ Der Arzt, der meine Sprache verstand, musste schmunzeln. „So krank
können wir ja gar nicht mehr sein, wenn wir unseren Humor noch nicht verloren
haben! Ihr Engel hat auch noch andere Pfleglinge.“ Wahrscheinlich sah er die
Enttäuschung auf meinem Gesicht, und dass es sich bei meinen ersten Worten
nicht unbedingt um Humor gehandelt hatte. Ein paar Minuten später war mein
Engelchen wieder da.
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Montag, 17. August 2020
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