Märchen 103 das gleiche Recht für alle Written by Rainer: rainer.lehrer@yahoo.com Learn languages (via Skype): Rainer: + 36 20 549 52 97 or + 36 20 334
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Das gleiche Recht für alle Bei vielen Naturvölkern verlassen die Alten,
Schwachen oder Kranken die Gruppe, oder sie werden zurückgelassen, manchmal
auch ausgestoßen. Nur bei jenen? In den modernen Industrieländern gibt es
Altersheime, spezielle Krankenhäuser oder Anstalten. Viele Insassen werden
einmal pro Monat, andere überhaupt nicht besucht. Die eine Gesellschaft kann
es sich nicht leisten, einen Klotz am Bein zu haben, weil der Existenzkampf
zu hart ist. Die andere will es sich nicht erlauben, weil sie glaubt, dann im
Konkurrenzkampf mit anderen zurückzubleiben. Von wem könnte man auch
erwarten, dass er ganz ohne Belohnung sein Leben für andere aufopfert. Aber
einen großen Unterschied gibt es doch. Bei der ersten musst du nicht
erklären, warum du sterben willst, du gehst einfach. Er zündete sich einen halben Zigarettenstummel an
und nahm einen Schluck von dem billigen Wein, nach dem sein Gehirn wieder
einen kleineren Purzelbaum schlug. Er war schon seit langem ausgestiegen, machte es
noch, solange er das Gefühl hatte, dass es ihm nicht zu viel wurde, oder
dafür zu sehr kämpfen zu müssen. Doch jetzt wollte er nicht mehr und hatte
sich in einen Teil eines Waldes zurückgezogen, in den sich selten jemand
verirrte. Dabei war es geheim geblieben. Es hätte sowieso niemanden interessiert.
Er war einfach aus der Stadt gegangen, dann einen Feldweg entlang, später in
den Wald und in das Dickicht. Ein neuer Schluck aus der Plastikflasche gegen
die Kälte und wieder ein geistiger Purzelbaum. Bilder aus seiner Kindheit kamen auf. Es gab oft
nichts zu Essen, deshalb wurde das alte Brot mit ein bisschen Fett bestrichen
und kurz in den Ofen gelegt. Am sechsundzwanzigsten Dezember war es besser,
weil die Christen das, was sie nicht aßen, unter den Armen verteilten. In die
Schule ging er gern, nicht weil er den Unterricht, die Lehrer oder seine
Mitschüler gemocht hätte, sondern weil es dort einigermaßen warm und sauber
war. Er beendete die Schule mit einem mittelmäßigen Zeugnis. Für eine
Berufsausbildung aber fehlten die Möglichkeiten. Sowohl seine Mutter als auch
sein Vater waren schwere Trinker, so dass unsere Hauptperson selbst seinen
Unterhalt verdienen musste, was mit der geringen Bezahlung eines Lehrlings
unmöglich gewesen wäre. Er mietete ein Zimmer in einem Arbeiterwohnheim, um
aus dem Dreck herauszukommen. Später lernte er Maria, ein lebensfreudiges
Mädchen, kennen. Aber auch sie konnte in ihm nicht den Ehrgeiz wecken, einen
Beruf zu erlernen und eine Familie zu gründen, oder vielleicht liebte sie ihn
nicht genug. Obwohl er den Alkohol eigentlich hasste, weil er gesehen hatte,
was er aus seinen Eltern machte, fand er sich immer öfter in der Kneipe ein.
Und so langsam rutschte er ab, verlor seinen Arbeitsplatz, an dem man
anfänglich mit ihm doch eigentlich ganz zufrieden war. Als er auch das Zimmer nicht mehr bezahlen konnte
und auf die Straße geriet, wurde sein Alkoholproblem nur noch größer, weil
dort fast alle tranken, um den Zustand und die Kälte zu verarbeiten.
Schlechte Ernährung, die Witterung und der übermäßige Alkoholkonsum zerstörten
dann auch noch den Rest an Widerstandskraft und Selbstwertgefühl. Als man ihn
fand, waren von ihm eigentlich nur noch die Kleidung, Knochen und ein
bisschen Wein in der Plastikflasche übrig. Wenigstens den Ort und die Zeit
seines Todes hatte er selbst gewählt. |
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